Die Blume Frauenschuh

Auf einem Seitenaltar der Kirche im Eifeldorf Salm stand eine wunderschöne Figur der Muttergottes mit ihrem Kind auf dem Arm. An sonnigen Tagen im Frühling und Sommer, so wird erzählt, stieg sie, wenn niemand in der Kirche war, wie von Engelshänden getragen zur Erde nieder und eilte geschwind vors Dorf in den Wald. Hier spielte sie mit dem Kind auf einer versteckten Wiese, lachte und scherzte, drehte sich mit ihm im Kreis und haschte auch schon einmal nach einem Schmetterling. Manch einer hat sie damals unter den Bäumen und hinter den Büschen singen und silberhell lachen gehört. Stets soll dann alles Gezweig ringsum dicht von Vögeln besetzt gewesen sein. Eine alte Holzleserin hat sogar mehrmals heilig beschworen, sie habe die Muttergottes, wenn auch nur kurz, zu Gesicht bekommen. Die himmlische Frau habe ihr freundlich zugenickt und sei dann plötzlich verschwunden gewesen. An einem besonders schönen Frühlingstag voll Duft und Vogelsang hatte die Gottesmutter einmal überm Spiel mit ihrem Kind die Zeit und alles andere vergessen. Plötzlich läutete vom Dorf her die Abendglocke. Erschreckt nahm Maria das Kind auf den Arm und huschte schnell hügelab dem Ausgang des Waldes zu. Hierbei verlor sie ein Schühlein vom Fuß. Es rollte seitwärts den Hang hinab und war in dem wilden Kraut und Gesträuch so schnell nicht zu finden. Morgen würde sie Zeit haben, danach zu suchen. Jetzt hastete sie weiter und kam noch gerade recht, ehe die Kirche verschlossen wurde. Am nächsten Tag war sie wieder im Wald. Aber wie sie auch suchte, das Schühlein fand sie nicht mehr. So mußte sie nun mit einem nackten Fuß auf dem Altare stehen. Doch blieb es unbemerkt hinter den vielen Blumen und Kerzen, die ihn das ganze Jahr über schmückten.

Mit dem Schühlein draußen im Wald aber geschah etwas Wunderbares: Es verwandelte sich in eine Blume und wuchs und vermehrte sich. Überall, wo sie gefunden wird, heißt sie noch heute "Frauenschuh". 


Quellennachweis:
Paul Weitershagen: "Eifel und Mosel erzählen",
Greven Verlag Köln, 3. Aufl. 1982
Christian Thömmes



[weiter]

[zum Inhaltsverzeichnis]